The Knife in der Columbiahalle, Berlin (11. Mai 2013)
Als The Knife 2006 ihr erstes Konzert spielten, hatten sie mit Silent Shout bereits ihr drittes Studioalbum veröffentlicht. Ihre bis dahin ungelöste Frage, wie sich elektronisch produzierte Musik jenseits eines bloßen Playbacks in einer Bühnensituation präsentieren ließe, beantwortete das schwedische Geschwisterpaar mit einer hochgradig theatralen Inszenierung, die das musikalische Liveelement auf den Gesang und einzelne Drumspuren reduzierte. Sowohl am vorderen Bühnenrand als auch am Bühnenhorizont waren Leinwände installiert, die mit aufwändig produzierten, die Musik illustrierenden Visuals projiziert wurden. Hinter dem in schwarzen Overalls gekleideten und mit Latex maskierten Duo befand sich eine Staffel neonbunter Scheinwerfer, die, vom Rhythmus der Musik getriggert, deren bereits visuell überschriebene Körper gänzlich in ein springendes Schattenspiel auflösten.
Mit dem Entzug des Körpers aus dem Zuschauerblick reflektierte das Setup die von The Knife in Interviews wiederholt thematisierte Frage der Identität. Zumeist treten Olof und Karin Dreijer maskiert auf, um öffentlich lediglich als Kunstfiguren der Musik sichtbar zu werden. Das Interesse an ihrer Person soll über eine Persona auf die Musik zurückgelenkt werden. In der Konzertsituation setzte sich diese Idee in ein Konzept isolierter Ko-Präsenz um. Hermetisch wurde die Situierung der Band zwischen den Leinwänden dadurch, dass sie sich mit In-Ear-Monitoring auch akustisch vom Publikum abschirmte und somit in einem linearen Kommunikationsmodell jeglicher Gemeinschaft verweigerte.
Dass die Frage der Musikeridentität das Verhältnis von Performern und Publikum immer mit verhandelt, wurde insbesondere auf der Tour zum Album von Karin Dreijers Soloprojekt Fever Ray im Jahr 2009 deutlich. Das insbesondere durch die opulenten Kostüme evozierte Setting einer Kultgemeinschaft wies den rituellen Charakter der Konzertsituation als Ort potentieller Verhandlung der Rollenverhältnisse zwischen MusikerInnen und Publikum deutlich aus. Auch hier wurden die Körper der fünfköpfigen Band in Nebelflut und Gegenlicht sowie Kostümen aus Federn, Tierknochen und Burkas aufgelöst. Als vollkommen überdeterminierte, aber semantisch entleerte Zeichen gingen diese zwar in keiner symbolischen Ordnung auf, brachten den Fetischcharakter des Personenkults in ihrer Undurchdringlichkeit aber performativ zur Aufführung. Der riesige Büffelkopf, den Karin Dreijer Anderson zu Beginn und am Ende des Konzerts auf dem Kopf trug, kann in diesem Sinne als symbolisches Substitut verstanden werden: kein faltiges Gesicht eines alternden Rockstars, der noch einmal angebetet werden möchte, sondern der wollichte Kopf eines stinkenden Büffels, der jegliche Illusion einer gelingenden Gemeinschaft zurückweist.
Die Shaking the Habitual-Show 2013 von The Knife setzte die Arbeit an diesen zentralen Themen fort. Das Konzert begann mit einem Selbstzitat: in dunklen Roben mit Kapuzen betraten die neun PerformerInnen die Bühne. Der Anfang der Aufführung war also zunächst wieder von einem sehr dunklen, kultischen Charakter geprägt. Dieser verschwand jedoch schon nach wenigen Liedern samt der Kutten: in bunt schimmernde Kleidern wurde plötzlich heiter über die Bühne getanzt, glitzerverzierte Gesichter strahlten fröhlich und karnevalesk in Richtung des Publikums. Glichen die Konzerte 2006 eher einer autistisch-okkulten Version der Blue Man Group, führte nun die queere Nachwuchsgruppe von Riverdance ihren bunten Reigen auf.
Die Übersetzung elektronischer Musik im Livekonzert wurde hier durch den Tanz verneint. Hatten die PerformerInnen noch zu Beginn der Show teils phantastisch anmutende Instrumente gespielt, stellten diese sich im Laufe der ersten vier Lieder als bloße Attrappen heraus und verschwanden bald ganz von der Bühne. Immer überzogener hatten die Spielgesten der MusikerdarstellerInnen sich gesteigert, bis sie frei in die leere Luft des Bühnenraumes bloß noch als ebensolche ausgestellt waren: als frenetische Gesten. Hier setzte auch die neue Variation des Identitätsthemas an: abwechselnd, mitunter auch gleichzeitig, mimten die PerformerInnen den Gesangspart und gerierten sich so als Karin-Dreijer-Anderson-DarstellerInnen. Zu erkennen gab diese sich nicht eindeutig.
Das Konzert endete mit einer technoiden Version des Hits Silent Shout, die nahtlos in ein DJ-Set überging. Das Publikum wurde nun direkt anmoderiert und zu einer gemeinsamen Feier aufgefordert. An Stelle der geschlossenen Kultgemeinschaft sollte am Ende eine offene Festgemeinschaft stehen. Obgleich die Halle sich, dem Technoschalter erlegen, euphorisch hingab, war der Abstand zwischen Bühne und Publikum wohl nie größer als in diesem heiteren Moment des Als-Ob.